Die Saale bei Salzmünde ist das perfekte Angelrevier, sagte Jonas Papa jedes Mal, wenn er mit einem Eimer voller Fische nach Hause kam. Jonas hielt nicht viel davon, stundenlang am Wasser zu sitzen und darauf zu warten, dass ein paar hungrige Fische vorbeischwammen. Doch als er eines Nachmittags mit seinen Freunden vor lauter Langeweile nichts mit sich anzufangen wusste, kamen sie auf die Idee, ans Saaleufer zu gehen.
Die drei sammelten Stöcke in unterschiedlichen Längen und knoteten dünne Zweige daran. Dann zogen sie ihre Konstruktionen durchs Wasser und freuten sich über die Muster auf der Wasseroberfläche. Am nächsten Tag hatte jemand eine Rolle Angelschnur dabei. Mühsam banden sie etwas davon an ihren Stöcken fest. Am anderen Ende fädelten sie Reste von einer trockenen Brotscheibe auf. Diesmal entstanden keine Wassermuster, dafür zeigten sich einige Fische, die neugierig den Brotköder beschnupperten. Den drei Kindern machte ihre notdürftige Beschäftigung immer mehr Spaß, so dass sie eines Tages beschlossen, ihr Taschengeld für richtige Angeln zu sparen. Niemals hätte Jonas gedacht, dass Papas langweiliges Hobby so toll ist!
Am ersten Ferientag war es dann endlich so weit. Die drei schnatterten wie die Wildgänse durcheinander, während sie am Ufer standen und ihre neuen Angelruten startklar machten. Und dann surrten sie schon durch die Luft und setzten sich mit einem leisen Schmatzen auf die Wasseroberfläche. Drei erwartungsvolle Augenpaar beobachteten jede noch so kleine Bewegung. An diesem Tag fingen sie so viele Fische, wie bei allen bisherigen Ausflügen zusammen! Die neuen Angeln waren der Wahnsinn!
Von da an traf man die Kinder zu jeder freien Gelegenheit am Fluss. Sie richteten sich ihren Lieblingsplatz gemütlich ein und fühlten sich wie die Könige vom Saaleufer. Eines Tages hatten sie die Zeit vertrödelt. Sie mussten dringend zum Mittagessen nach Hause, sonst würden ihre Eltern sich Sorgen machen. Fürs gründliche Zusammenpacken blieb nicht mehr genug Zeit. Also beschlossen sie, die Angeln am Ufer stehenzulassen und sich daheim zu beeilen. An ihrem versteckten Angelplatz war ihnen noch nie jemand begegnet, da würde heute wohl auch nichts schief gehen.
Nach einer halben Stunde und zügig hinuntergeschlungenem Essen waren sie wieder zurück. Doch es verschlug ihnen die Sprache: Alle drei nigelnagelneuen Angeln waren weg! Einfach verschwunden. Jemand hatte sie beklaut! Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schlecht es den drei Kindern ging. Sie waren wütend auf sich selbst, warum hatten sie bloß die Angeln zurückgelassen. Sie waren traurig, dass sie wohl niemals wieder so viel Spaß haben würden. Und jeder in der Umgebung den sie fragten beteuerte, nichts Ungewöhnliches gesehen zu haben.
Sie versteckten sich sogar im Gebüsch und legten sich auf die Lauer, in der Hoffnung, die Diebe würden zurückkommen. Doch ihr Warten blieb vergebens. Niemand ließ sich am Ufer blicken und von ihren Angeln war weit und breit nichts zu sehen. Da bauten sie notgedrungen ihre alten Stockangeln wieder zusammen und warfen sie lustlos und mit hängenden Köpfen aus. Es war trostlos. Tag für Tag trafen sie sich an ihrem Lieblingsplatz, hielten Ausschau und versuchten, mit den selbstgebauten Konstruktionen etwas zu fangen. Aber die Fischlein waren wohl ebenso traurig wie die Kinder und ließen sich nicht blicken. Die Freude wollte einfach nicht wiederkommen.
Eines Tages raschelte es im Gebüsch. Sie vermuteten ein Amselpärchen, das ihnen häufiger Gesellschaft leistete und blieben mucksmäuschenstill stehen. Aber statt der Amseln traten knubbelige Gestalten, kaum größer als die Kinder selbst hervor. Sie sahen aus wie eine Mischung aus einem kleinen Erwachsenen und einem großen Gartenzwerg und lächelten die Kinder freundlich an. Jonas sah es sofort: Die Fremden hatten ihre gestohlenen Angeln dabei! Seine Freunde hatten sie auch entdeckt und begannen die Diebe wild zu beschimpfen. Banditen! Gangster! Gebt die Angeln sofort wieder zurück! Das war ein Tumult! Die Kinder machten ihrem ganzen Ärger Luft und meckerten sich die Wut der letzten Tage vom Herzen.
Wie überrascht schauten sie aus der Wäsche, als die Fremden, die sich als Trolle vom Bierhügel vorstellten, ihnen bereitwillig die Angeln übergaben und sich entschuldigten. Sie hatten sie ausprobiert, nachgebaut und mit ein paar Verbesserungen versehen. Eine der Gestalten zeigte ihnen seine selbstgebaute Angel, trat ans Ufer und warf sie lautlos aus. Die Kinder staunten, wie großartig der Nachbau funktionierte. Sogleich bekam jedes eine in die Hand gedrückt und durfte damit ans Werk gehen. Und noch besser: die Fremden bestanden darauf, dass sie die Troll-Angeln behielten, als Geschenke und zum Ausgleich für den verursachten Ärger. Das war der Beginn einer Angelfreundschaft zwischen Kindern und Trollen, die sich so oft sie konnten, trafen und bei ihrem gemeinsamen Hobby viel Spaß hatten.
© Tina Kaltofen. Alle Rechte vorbehalten.