Die Salzataler Riesen

Es war einmal vor langer Zeit, als es noch Elfen, Kobolde und andere magische Wesen auf der Erde gab. 

Da hatten sich zwei Riesen im Salzatal niedergelassen. Sie waren so hochgewachsen wie eine hundertjährige Eiche und überragten die umliegenden Häuser, sogar die Kirchtürme. 

Jetzt könnte man denken, dass alle in Angst und Schrecken vor ihnen lebten. Aber dem war nicht so. 
Es handelte sich um friedliche Wesen, die bei schwierigen Arbeiten halfen.

Das einzige Problem mit den Riesen war ihr Riesenhunger. Ständig brauchten sie zu essen. Nie wurden sie richtig satt. Wären beide gleichzeitig auf die Jagd gegangen und hätten sich an Obst, Gemüse und Getreide bedient, dann wäre nicht das kleinste Krümelchen übriggeblieben.

Das Würfelspiel

Die zwei hatten für ihren großen Hunger eine prima Lösung. Jeden Monat trafen sie sich in der Nähe des Örtchens Krimpe. Da gab es eine Stelle, wo weit und breit kein Haus und Hof stand. 

Unter einem Lindenbaum lagen sechs annähernd gleichgroße Hinkelsteine. Mit eingedrückten Nägeln hatten die Riesen auf ihnen die Augenzahlen von eins bis sechs markiert, so dass die Steine wie Würfel aussahen. 

Ein Mal im Monat trafen sie sich und würfelten aus: Wer durfte die Fische aus der Saale fangen? Wer die Rehe im Wald jagen? Wer das Obst ernten? Und wer sich im großen See waschen? Die Menschen und Tiere wussten genau, wenn es an einem wolkenklaren Tag rumpelte und donnerte, als würde ein Unwetter hereinbrechen, dann saßen die Riesen wieder beisammen und warfen die Würfel.

Die Schatzsuche

Eines Tages saßen die zwei Riesen am Ufer der Saale und hielten ihre Angeln ins Wasser. Sie hatten Riesenhunger und wollten ihr knurrenden Mägen mit leckerem Fisch füllen.

Doch statt eines Schuppentieres baumelte plötzlich eine alte Flasche an ihrem Angelhaken. Sie war fest mit einem Korken verschlossen. Im Inneren konnte man einen Gegenstand erahnen. Neugierig und aufgeregt zogen die Riesen den Korken heraus. 

Zum Vorschein kam ein altes Stück Papier mit merkwürdigen Zeichen und Symbolen. Die zwei grübelten über dem Zettel, bis ihnen die Köpfe qualmten. Was mochte das sein? 

Dann kam ihnen eine Idee: Eine Schatzkarte! Bestimmt war an der Stelle mit dem Kreuz etwas Wertvolles versteckt! Voller Abenteuerlust zogen die Riesen los und suchten im Salzatal nach dem markierten Ort.

Nachdem sich ein Salzataler Riese beim Würfeln in einen Ameisenhaufen setzte, erschrak er so sehr, dass er die Würfel in hohem Bogen  wegwarf. Der Größte flog fast tausend Meter weit und blieb erst auf einem Feldweg nahe der Ortschaft Räther liegen. Die Riesen flitzten indes zu ihren Verwandten ins Riesengebirge. Denn der wunde Po schmerzte so sehr, dass nur die Medizin von Onkel Rübezahl Linderung versprach. Ihre Würfelsteine ließen sie achtlos zurück.

Die Menschen aus der Umgebung von Räther waren sehr ärgerlich über den großen Stein. Er lag mitten auf einem Feldweg, den täglich viele Fuhrwerke und Ochsengespanne benutzten. Ihnen war die Durchfahrt versperrt und sie mussten weite Umwege in Kauf nehmen.

Da trafen sich die Anwohner und versuchten ihn aus dem Weg zu räumen.

Die Riesen im Salzatal waren dicke Freunde. Stets streiften sie zu zweit durchs Land und erlebten gemeinsame Abenteuer. Das Schnarchen des einen weckte den anderen und abends summten sie sich gegenseitig in den Schlaf. 

Eines Morgens wachten sie auf und etwas stimmte nicht. Der eine sagte: „Du hast zu leise geschnarcht. Ich bin nicht wachgeworden.“ Der andere gab zurück: „Du hast zu laut gesummt. Ich konnte nicht einschlafen.“ Sie blickten einander grummelig an und drehten sich die Rücken zu. 

[...]

Und so zankten sie den ganzen Tag über die kleinsten Kleinigkeiten, ohne zu wissen, warum sie wütend aufeinander waren.

Nach einer langen Wanderung kreuz und quer durch die Wälder und über die Felder, legten sie gerade gemütlich die Füße hoch, da grollte ein tiefes Grummeln durch ihr Zuhause. Gleich darauf folgte ein zweites, das noch garstiger klang. Und schließlich ging das Geräusch in ein schauerliches Gluckern über. Mit großen Augen sahen sich die zwei an, bis der eine zaghaft flüsterte: "Das war mein Bauch." Und wirklich. Im Riesenbauch rumorte es, als hätte er tausend Gewitterwolken zum Frühstück gegessen. 

Das Bauchgrummeln wollte einfach nicht aufhören. Später am Abend gestand er seinem Freund, dass er dazu auch noch Bauchschmerzen hatte und sich überhaupt nicht gut fühlte.

Woran konnte das liegen?